Aug 8 / Paul Becker

Interpretation im Historischen Fechten

Das Historische Fechten ist der Versuch einer Annäherung an das Fechten, wie es in der Vergangenheit praktiziert wurde. Das Wissen dazu erhalten wir aus historischen, zeitgenössischen Quellen. 
Im Zusammenhang dieser Annäherung wird gern von Interpretation gesprochen. "Dies ist aber meine Interpretation" heißt es dann gern. Doch was meint eigentlich der Begriff Interpretation im Zusammenhang mit Quellenarbeit und was wird tatsächlich zum Ausdruck gebracht, wenn die obige Aussage fällt?

Historisches Arbeiten

Als Historisches Arbeiten bezeichnen wir in der Geschichtswissenschaft die Arbeitsweise des Historikers. Der Historiker widmet sich Fragestellungen und Problemen zur menschlichen Vergangenheit. Um diese zu beantworten, wurde eine strukturierte und zielführende Arbeitsstruktur mit ihren eigenen Methoden entwickelt. Wichtig dabei ist stets die Nachvollziehbarkeit und die Belegbarkeit von Informationen und Denkweisen. 

Am Anfang steht die Themenfindung bzw. Formulierung einer Fragestellung oder Problemstellung. Im Kontext des Historischen Fechtens könnte diese z.B. lauten:

"Wie und wozu wurde nach Liechtenauer mit dem Langen Schwert gefochten?"

Haben wir nun z.B. eine Quelle zu bearbeiten, nehmen wir an eine Fechthandschrift des 15. Jahrhunderts, beginnt die eigentliche Arbeit. Ganz knapp zusammengefasst besteht diese Arbeit aus drei Säulen:

  1. Dem Suchen 
  2. Dem Lesen und Denken
  3. Dem Reden oder Niederschreiben

Abb. 1: Elemente des Historischen Arbeitens nach Ecket und Beigel: Historisches Arbeiten, Göttingen 2019, S. 19. 

Zuerst wird also nach Literatur und Quellen zum Thema gesucht. Auch hierzu gibt es feste Methoden und Muster, die einem das schnelle und zielführende Recherchieren erleichtern.

Nun werden diese gelesen, analysiert und ausgewertet.
Erst dann folgt das Niederschreiben oder Erzählen der Erkenntnisse.

Ja, klingt einfach. Ist es aber nicht. Zumindest, wenn man einen gewissen Anspruch an seine Arbeit und die daraus folgenden Erkenntnisse hat.

Denn je älter die Quellen werden, umso mehr Fachkompetenz erfordert das Arbeiten mit der Quelle. Die Erschließung von Quellen aus dem Mittelalter hat große und viel Hürden. Denn viele Quellen sind noch nicht fachlich ediert worden, sodass der gesamte Erschließungsprozess selbst durchzuführen ist. Die Originalquelle muss mit ihrer alten Schrift und den vielen Abkürzungen erstmal überhaupt korrekt gelesen werden können. Und dann schließlich auch die historische Sprache korrekt verstanden werden. Jede Übersetzung ist dabei schon selbst eine Interpretation und muss daher erläutert werden. Dies nur als die ersten Probleme, die auftreten.

Aus meiner persönlichen beruflichen Erfahrung als Historiker, Offizier, Sportausbilder und Fechtlehrer habe ich dieses System inzwischen stark erweitert und an das Historische Fechten als Rekonstruktion mit weiteren Methoden und Strukturen erweitert, welche eine transparente uns strukturierte Technikannäherung am Ende des Arbeitsprozesses ermöglichen sollen.
Abb. 2: Quellenarbeit während der Trainerausbildung.

Interpretation

Wo aber ist in diesem Prozess eigentlich die Interpretation anzusiedeln? Für das wissenschaftliche Arbeiten ist das sehr deutlich. Im Prozess der Quellenerschließung (Lesen und Denken) ist die Interpretation der Abschließende Prozess. Sie ist die Auswertung aller gesammelten Informationen. Bevor also die Interpretation stattfinden kann müssen viele andere Prozesse "erfolgreich" durchgeführt werden. Im Bereich der Quellenarbeit bedeutet dies, dass zuerst die gesamte Quelle einer Quellenkritk unterzogen wird. Eine Quellenkritk ist im Historischen Arbeiten wiederum eine Methode mit klarem Muster. Es geht darum "strukturiert" und möglichst lückenlos alle notwendigen Informationen zu erhalten, um die Quelle in den historischen Kontext einordnen zu können, ihre Glaubhaftigkeit zu erfahren und vieles mehr.

Abb. 3: Auszug aus einem Unterricht unserer Trainerausbildung.
Erst dann kann ich nämlich den Text verstehen und mich der Auswertung widmen.

Wie man genau einen Text interpretiert ist dann wiederum ein eigenes umfangreiches Verfahren, dass uns hilft den tatsächlichen Aussagewert der Quelle zu erfahren. 

Arbeitet man an einer bebilderten Quelle, ergeben sich noch viel mehr Hindernisse. Denn dazu muss man noch sehr viel mehr Zusatzinformationen erarbeiten. Im Bereich der eigenen Fachkompetenz muss man sich hier umfassende Kenntnisse und Methoden im Kontext der Kunstgeschichte und der Bewegungsgeschichte aneignen. Denn Formen der Darstellungen sind mit sehr unterschiedlichen zeitgenössischen Zielen und Rahmenfaktoren zu analysieren und interpretieren. 

Wenn man also sagt, "das ist meine Interpretation", dann geht man als fachlicher Dialogpartner davon aus, dass Aussagende all diese strukturierten Schritte durchgearbeitet hat und zu all diesen Fragen aussagekräftig ist. 

Im Kontext von Historischen Fechtbüchern kommen im Anschluss an die Interpretation, dann auch noch gesonderte Verfahren zur "Praktischen Annäherung" der Techniken und Bewegungen hinzu, die eine transparente Kritik und wissenschaftlichen Austausch ermöglichen.

Abb. 4:  Auszug aus einem Unterricht unserer Trainerausbildung.
Ich nenne es explizit nicht Rekonstruktion, da dies impliziert, wir könnten mit Sicherheit etwas genauso wiederherstellen, wie es in der Vergangenheit war. Dies ist aber nicht möglich. Daher benutze ich den Begriff der Annäherung. Wir versuchen es mit unseren Möglichkeiten so gut, wie es nur irgend geht.
Abb. 5: Praktische Interpretation erlernen während der Trainerausbildung.

Meinung oder Idee?

"Was mache ich dann eigentlich, wenn ich einfach von meiner Interpretation rede?"

Das ist eine gute Frage. Nun wenn ihr z.B. einfach die Transkription des Codex 44 A 8 von meinem Freund Dierk Hagedorn lest und dann mit dem Text versucht eine Technik nachzumachen, dann ist das noch keine Interpretation. Es ist eure Vorstellung einer Bewegung die entsteht, wenn ihr den historischen Text lest. Ihr macht quasi einfach das, wofür der Text eventuell früher gedacht wurde. Nur seid ihr nicht die ursprünglich anvisierte Zielgruppe, was euch den Zugang sehr erschwert. 

Ich würde sagen, wir können dann von eurer Idee, eurer Meinung oder eurer Vorstellung sprechen. 

Es geht nicht darum zu bewerten, ob eine Idee jetzt falsch oder richtig ist. Es kann einen tollen Austausch im Dialog geben. Es geht darum zielgerichtet und mit einer klaren Fachsprache zu unterscheiden, worüber und auf welcher fachlichen Basis wir sprechen. Denn es kommt ja ganz stark darauf an, was euer Ziel ist. Das Ziel bestimmt den Weg und somit die Art und Weise, wie ihr euch mit der historischen Quelle beschäftig.

Wie ihr zu guten Erkenntnissen und Rekonstruktionen mit Hilfe von Wissenschaftlichem Arbeiten kommt, erfahren z.B. die werdenden Trainer unserer Trainerausbildung im Unterrichtsfach Quellenarbeit und Rekonstruktion. Es wird aber bald auch einzelne Kurse zu diesem Thema geben. Zögert nicht, mich anzusprechen, wenn ihr gern eine Weiterbildung in diesem Bereich für euch eure Trainer oder euren Verein wünscht.

Schließlich wollen wir doch alle, das das Historische Fechten hochwertig ist und wir uns dabei kompetent wahrnehmen können.

Letztlich sollte uns als Trainer immer bewusst sein, dass es genau diese Fertigkeit ist, die uns von anderen Fechtlehrern und Kampfsportlehrern unterscheidet. Die Fertigkeit, aus historischen Quellen Erkenntnisse zu gewinnen, die wir im Unterricht und Training anwenden können.

Du willst mehr zum Thema erfahren? Oder dich weiterbilden? Dann melde dich einfach und wir helfen dir mit einem persönlichen Beratungsgespräch.
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