Paul Becker

Fechtkunst und Martial Arts?

Die Kinder des Mars
Wenn wir uns heute über die Fechtkunst austauschen, nutzen wir gern den Begriff Kampfkunst als Synonym oder Oberbegriff. Im internationalen Kontext setzen wir dann den englischen Begriff martial arts und den lateinischen ars martialis gleich. Zahlreiche Werbeplakate für das Historische Fechten nutzen die „martialische“ Sprache. Das beste Beispiel hierfür ist wohl die aktuell meistbenutzte Begrifflichkeit Historische Europäische Kampfkünste (historical european martial arts) bzw. HEMA. Doch ist diese Bezeichnung überhaupt korrekt?

Die Bezeichnungen Kampfkunst, martial arts und ars martialis können für viel Verwirrung sorgen, wenn wir uns im Bereich des Historischen Fechtens bewegen. Umso mehr, wenn wir dabei mit deutschsprachigen Quellen arbeiten. Die Frage, die es hier zu beantworten gilt, ist, ob unsere modernen Worte Kampfkunst und martial arts dem historischen Begriff Fechtkunst und seiner Einordnung überhaupt gerecht werden. Und ob sich dadurch nicht ein Missverständnis ergibt, was uns die Erschließung der zeitgenössischen Sichtweisen verwehrt.

Dieser Artikel ist in keiner Weise ein Versuch, die umgangssprachliche Entwicklung hin zu Kampkunst, Kampfsport und Martial Arts zu revidieren, sondern vielmehr eine Hilfe, die Entwicklung nachzuvollziehen und somit die Denkweisen der Verfasser der historischen Fechtbücher zu verstehen.

Moderne Denkweise

Für uns ist heute der Begriff Kampfkunst der Standardbegriff, wenn wir über Künste sprechen, die sich mit der körperlichen Auseinandersetzung zwischen Menschen beschäftigen. Die allgemeine Annahme ist dabei, dass der Ursprung im lateinischen Begriff ars martialis zu finden ist, also den Künsten des Kriegsgottes Mars, der sich dann im Englischen zu martial arts entwickelt hat. Hier nur einige moderne Zitate:

 Die Kampfkunst wird auf Lateinisch als "ars martialis" bezeichnet, die Kunst des römischen Kriegsgottes Mars. Das verweist darauf, dass Kampfkünste in der Vergangenheit vorrangig für die Vorbereitung auf den Krieg geübt wurden. Vor allem im Fernen Osten entwickelten sich die Kampfkünste jedoch auf eine Weise weiter, dass in zunehmendem Maße Aspekte wie Philosphie, Religion und auch Heilkunde darin einflossen und mitunter sogar ein größeres Gewicht gewannen... 



(Hilmar Fuchs, Der Tanz des Kranichs, Tai Chi für Gesundheit und Wohlbefinden, 2015, S. XIV)
 Ars Martialis kommt von 'Kunst' (lat. 'Ars') und wie aus dem Kriegsgott Mars, der in der römischen Mythologie seinen Platz hat, das 'martialis' wird, erklärt Ihnen sicher ein freundlicher Lateiner. Die 'Ars Martialis' sind also die Kriegskünste bzw. das was heute im deutschen Sprachgebrauch als 'Kampfsport' und 'Kampfkunst' bezeichnet wird. In anderen Sprachen hat sich die Wurzel von Ars Martialis nach wie vor in den Begriffen erhalten, z.B. 'Martial Arts' (engl.) wobei offenbar auch im englischen auch die 'Martial Sports' existieren, 'Arts Martiaux' (franz.), 'Artes marciales' (span.) oder 'Arti Di Martial' (ital.). 

(Dr. Sportwiss. Ralf Pfeifer, http://www.arsmartialis.com/ aufgerufen am 07.08.2022)
 Weltweit wird mit dem Begriff "Martial Art" das Thema Kampfkunst verbunden. Dieser englische Begriff stammt von dem lateinischen Ausdruck; "Ars Martialis", was wortwörtlich "die Kunst des Mars" bedeutet, ab und beschreibt die Kriegskunst, da Mars im Römischen Reich, in dem Latein gesprochen wurde, als Kriegsgott galt. 

(Erdogan Sen, Sen Do - Drei-dimensionale Kampfkunst, 2011, S. 30)

 Schauen wir uns dazu an, wie die alten Römer das gesehen haben: Bei ihnen setzte sich „Artes Martialis“ aus der Kunst (ars) bzw. den Künsten (artes) und dem Namen des römischen Kriegsgottes Mars (Martialis = „des Mars“) zusammen. In vielen europäischen Sprachen hat sich diese Bezeichnung gehalten, im Englischen heißt es „Martial Arts“ und die romanischen Sprachen blieben sowieso näher bei den Römern, so z.B. „Arts Martiaux“(franz.), „Artes marciales“ (span.) oder „Arti Di Martial“ (ital.).

In der Sinngemäßen Übersetzung wäre damit Kampfkunst der Teil des ernsthaften Kampfes und ist damit das Gegenteil des sportlichen Wettkampfes, also des Kampfsportes. 

(Pfeifer Ralf, Ars Martialis, Köln 2014, S.11)

Ähnliche Erklärungen findet man auf fast allen Onlineplattformen, die sich mit dem Begriff Kampfkunst oder Kampfsport auseinandersetzen. Hier weitere Beispiele:

https://www.artist-ritual.de/kampfkunst
https://kampfsportarten-abc.de/kampfsportarten-liste/
https://dewiki.de/Lexikon/Kampfkunst
https://de.wikipedia.org/wiki/Kampfkunst

Die Liste lässt sich sicher um weiter Zitate ergänzen.

Man kann also sehen, wie stark heute die Idee verankert ist, dass das lateinische ars martialis gleichzusetzen sei mit Kampfkunst oder Kampfsport als der Wettkampfvariante. Und weiter noch wird behauptet, dass dieser Begriff schon früher genutzt wurde, wobei Bezug zu Antike und Mittelalter genommen wird. Fechten wird dann meist als eine Art des Kampfsports also der Martial Arts oder ars martialis angesehen. Dabei wird gern darauf verwiesen, dass sich gerade in den romanischen Sprachen das lateinische ars martialis erhalten habe.

ARS MARTIALIS 

Wie in den obigen Zitaten aufgezeigt, ist der angeblich antike Begriff für die Künste des Kämpfens das lateinische „ars martialis“. Laut aktueller Literatur und Onlineauftritten bezöge sich dies auf den römischen Kriegsgott Mars. Die Künste des Mars, so sagt man dort, sollen daher die Kriegskünste sein. Dementsprechend würden wir in antiken Texten ars martialis auch in diesem Zusammenhang finden.
Klingt logisch, ist aber nicht so. Nach langer Recherche und Rücksprache mit Kollegen der Alten Geschichte lassen sich solche Bezüge in der römischen Antike nicht finden. Dort wurde diese Begrifflichkeit nicht genutzt.
Das Mittelalter kann helfen. Der Begriff Mittelalter wurde geschaffen, um aus Sicht der Forscher des 16. und 17. Jahrhunderts die Zeitspanne zwischen dem Altertum und ihrer Gegenwart zu beschreiben. Man nannte diese Epoche daher die Mitte zwischen dem Altertum und der damaligen Gegenwart, also das Mittelalter. Und dies enthielt vorerst auch keine Wertung. Wenn wir den Zusammenhang zwischen der antiken und der modernen Sprache verstehen wollen, dann ist das Mittelalter ein großartiger Ausgangspunkt. Denn wir finden hier eine lange Tradition, das antike Latein zu kopieren und zunehmend die Volkssprache mit Latein zu verbinden, bis schließlich das Volkssprachliche übrig bleibt.
Das Mittelalter kommt also seinem Ursprungsbegriff nahe und bildet auch hier ein Bindeglied zwischen Altertum und Neuzeit.
Als Mittelalterhistoriker möchte ich aber eher auf mittelalterliche Sichtweisen und Entwicklungen eingehen, die letztlich größere Auswirkungen auf unsere Sichtweise haben. Denn die Fechtkunst, um die es uns hier letztlich geht, lässt sich erst ab dem späten Mittelalter in Verbindung setzen.
Wenn man nach mittelalterlichen Quellen sucht, die uns von ars martialis berichten, dann suchen wir auch hier, wie vormals in antiken Quellen, vergebens. Das Mittelalter kennt diesen Begriff ebenso wenig wie das Altertum.
Wenngleich der antike Gott Mars als Kriegsgott im 15. Jahrhundert in den zahlreichen Planetenlehren Erwähnung findet und Bezüge zum Lebensumfeld erhält, so findet das lateinische Wort mars hier keinen Bezug zum deutschen Krieg oder Kampf.

Im Spätmittelalter, als auch die erste Verschriftlichung der Fechtkunst einsetzt, ist das meistgenutzte lateinische Wort für Krieg bellum. Dementsprechend heißen die Kriegskünste auch ars belli. Dabei bezieht sich ars belli gemäß den zugänglichen Quellen aber eher auf die kriegstechnische Kunst, welche dann auch nicht selten armatura genannt wird. Denn die Handschriften mit diesem Wortbezug zeichnen sich durch die Darstellung und die Beschreibung von Kriegsgeräten ab, wie etwa Geschützen, Wagen und Befestigungen. Sehr bekannt sind hier die Handschriften der Gruppe Bellifortis, deren Inhalte auch von manchem Fechtmeister, wie etwa Hans Talhoffer, in ihre Sammelwerke aufgenommen werden.

Die eigentliche Kriegskunst, die sich mit planerischen, taktischen und strategischen Fragen beschäftig, wird eher im Zusammenhang mit militaris gesetzt. Anhand des verhältnismäßig weit verbreiteten Werkes zur Kriegskunst Epitoma rei militaris des Flavius Vegetius Renatus, welcher sein Werk im 4. Jahrhundert anfertigte, lässt sich diese Verbindung aufzeigen. In besonderem Ausmaß dann, wenn wir uns die deutschen Übersetzungen des lateinischen Textes im 15. Jahrhundert anschauen. So wird dort Epitoma rei militaris mit „von Ritterlichen Dingen“ übersetzt. Und die lateinische Bezeichnung für Ritter wiederum ist seit dem Hochmittelalter miles bzw. milites im Plural. Auch im Altfranzösischen wurden die Epitoma rei militaris ähnlich übersetzt mit Le livre de la chevalerie oder Li livres Flave Vegece de la Chose de Chevalerie. Chevalerie ist dabei das französische Wort für Ritterschaft oder Rittertum. Auch Pietro Monte schreibt in seinen Collectanea zwischen 1492 und 1509 spätestens in Buch 3 De Arte Militari. Fälschlicherweise wird dies direkt mit dem modernen Wort Militär in Military Art übersetzt. Noch Wallhausen verbindet dann Ritterkunst und Kriegskunst in seinem Werk Ritterkunst aus dem Jahre 1616. Dabei übersetzt er militaris disciplina z. B. in Muttersprache mit "Kriegsdisciplin". Der Übergang vom Ritterlichen zum Kriegerischen ist also in die frühe Neuzeit, vermutlich das späte 16. Jahrhundert zu setzen.

Wir haben es bei militaris im Mittelalter also mit Ritterkunst zu tun. Inhaltlich beschäftigen sich diese Werke mit allem, was für den Krieg, welcher oft als Streit bezeichnet wird, an Theorie zu wissen und an Praxis zu können sei. Die Fechtkunst aber wird hier nicht erwähnt.

Auch den Begriff Krieger gibt in diesen Quellen nicht. Es gibt Ritter, Söldner, Knechte, Reisige und viele andere Begriffe für die Teilnehmer am Krieg. Und die lateinischen Begriffe für diese sind eben mehrheitlich miles für den Ritter, und mercenarius für den Söldner/Knecht/Reisigen. Zusätzlich erfahren wir durch Vegetius, dass bereits in der Spätantike die Begriffe bellum und militaris vorherrschend waren und nicht martialis.
Wenngleich also Mars der antike Gott des Krieges ist, so finden sich keine sprachlichen Bezüge dazu.
An den genannten Begrifflichkeiten lässt hier kurz zusammenfassen:

Krieg/Streit = bellum.
Ritterlich sein, üben, gebären = militaris.
Die Kunst der Kriegstechnik = ars armatura oder ars belli.
Die ritterliche Kunst oder Ritterkunst = ars militaris.
Der Ritter (statt Krieger) = miles.
Der Söldner/Reisige = mercenarius.

Wir finden also vorerst gar keinen Bezug im Mittelalter zu dem Begriff der artes martialis.

Tatsächliche Bezüge zu Mars im Mittelalter

Bezüge zum Kriegsgott Mars finden sich im Spätmittelalter. Im Speziellen bei den Planetenlehren. In diesen finden sich auch Bezüge zur Fechtkunst. So werden die Menschen als „Kinder“ nach den Planten geordnet, unter welchen sie geboren wurden und ihnen entsprechend Eigenschaften vergeben. Die Kinder des Mars werden dabei z. B. wie folgt beschrieben:

 Mars der dritt Planet vnd stern
Pin ich geheissen vnd tzorn gern
Heiß vnd trucken pin ich vil
Mit meiner crafft mere denn ich wil
Zwey zeichen sein mein hewser schon
Der wider vnd der scorpion
Krig wirt vnd widerwerttige pein
So ich mit crafft dor inne werde sein
Mein erhohung in dem steinpock ist
Im krebs verliß ich crafft vnd list
Die zwelff zeichen ich durch vare
In tzweien iaren ganntz vnd gare.
Alle mein geporn kint
Zornig mager geheling sint
Hitzig krigisch vnd mißhelig
Stelen rauben vnd ligen dick
Bornen morden vnd alletzeit triegen
Stechen slahen in engsten kriegen
Ir antlutz ist prawn rait vnd spitz
Ein scharpf gesicht mit poser witz
Clein zene vnd ein clainen part
Ir leip ist lannck vndf ir hautt hartt
Vnd was mit fewer sol geschehen
Das mussen mein kinder veriehen.  

(Germanisches Nationalmuseum: Mittelalterliches Hausbuch Bilderhandschrift des 15. Jahrhunderts, Leipzig 1866, S. 7) 
Mars und seine Kinder, Hausbuch Wolfsegg fol. 13.r. in Privatbesitzt.
Die Kinder des Mars werden hier äußerst negativ dargestellt: Sie sind Mörder und Diebe, hitzig und zornig. In Bildern werden sie dann auch stets im Krieg oder beim Rauben, Plündern, Morden oder im tödlichen Zweikampf dargestellt. Die Attribution des Mars mit dem Krieg zeigt sich hier deutlich. Aber die Fechtkunst finden wir hier nicht. Weder in Wort noch in Bild.

Ganz im Gegenteil dazu die Kinder der Sonne. 
 Sol die Sun man mich heissen sol
Der mittelst planet pin ich wol
Warm vnd trucken kan ich sein
Naturlich ganntz mit meinem schein
Der lew hat meins hauß kreiß
Dor inn pin ich vast heiß
Doch ist Saturnus stetiglich
Mit seiner kelt wider mich
Erhohet werd ich in dem wider
In der maget falle ich herwider
In dreyhundert vnd funffundsechtzig tagen
Mag ich mich durch die zeichen tragen.
Ich pin glucklich edel vnd fein
Also sint auch die kinder mein
Gele weißgemengt schon angesicht
Wolgebartt weiß clein hare geslicht
Ein feisten leip mit scharpffen hirn
Mittel augen ein grosse stirn
Seitenspil vnd singen von mund
Wol esszen vnd grosser herren kunt
Vor mittem tag dienent sie got vil
Dar nach leben sie wie man wil
Steinstossen schirmen ringen
In gewalt sie gluckes vill gewynnen. 

(Germanisches Nationalmuseum: Mittelalterliches Hausbuch Bilderhandschrift des 15. Jahrhunderts, Leipzig 1866, S. 7) 
Kinder der Sonne in der Handschrift Wien, Österr. Nationalbibl., Cod. 3085 fol. 23r.

Die Kinder der Sonne sind edel, fein, glücklich und intelligent („scharrpfen hirn“). Sie sind das Gegenteil der Kinder des Mars. Anstatt Krieg zu führen, gehen sie den schönen Dingen des Lebens nach, wie Musik, Steinstoßen, Schirmen und Ringen. Und es wird darauf verwiesen, dass sie bei Gewaltbedrohungen auch helfen, also Beschützer sind. Dass Schirmen und Ringen als Teil der Fechtkunst hier erwähnt werden, wird auch später noch wichtig sein.
In jedem Fall zeigt sich hier, dass die Attribute des Mars negativ bewertet werden. Die Fecht- und Ringkunst hingegen, hier als Schirmen und Ringen, wird als etwas Positives für Körper und Seele dargestellt, das man als „Kurzweil“ – also Hobby oder Spaß – ausübt, die aber trotzdem im Ernst hilfreich ist. Doch wird sie nicht dem Mars, sondern der Sonne zugesprochen.

KAMPF

Aber auch das deutsche Wort Kampf kann hier kaum mit ars martialis in Verbindung gebracht werden. Kampf und Kämpfen tauchen in der mittelalterlichen Sprache ganz klar nur in Verbindung mit ernsten Auseinandersetzungen auf. In der Regel aber als Wort für Zweikampf bzw. Duell. So ist ein Kämpfer wiederum ein Teilnehmer am Kampf und wird auch Kämpfer genannt. Die lateinische Übersetzung lautet in mittelalterlichen Texten pugil, pugilator, pugnator, duellator für Kämpfer, duellare, pugilare, sowie pugnare für das Verb kämpfen und duellum für Kampf.
Genau so findet man die Begriffe in den Rechtstexten des Hoch- und Spätmittelalters vom Sachsenspiegel bis hin zu den Land- und Stadtrechten. Kampf kann dabei sowohl den gerichtlichen Zweikampf als auch den Ehrenkampf meinen.
Die Verbindung zum Zweikampf wird also deutlich. Das Wort Kampf finden wir dann auch in den Fechtbüchern des 14. und 15. Jahrhunderts. Dabei ist der Kampf dem Begriff der Fechtkunst untergeordnet und auch stets im Kontext des Zweikampfs deklariert. In der höfischen Liechtenauerlehre des 15. Jahrhunderts findet sich das Wort Kampf stets im Kontext mit dem ritterlichen Ehren-Zweikampf in Rüstung zu Pferd oder zu Fuß.
 ...das ist der text vnd die glos einer gemainen ler zw kampff... 
(Rom, Biblioteca dell’Accademia Nazionale dei Lincei e Corsiniana, Cod. 44 A 8 [Cod. 1449] fol. 53 v.) 

 Das ist der text vnd die glos von Ringen zw kampf... 
(Rom, Biblioteca dell’Accademia Nazionale dei Lincei e Corsiniana, Cod. 44 A 8 [Cod. 1449] fol. 56 r.) 

 Hie hebt sich an meister lewen
kunst fechtens In harnasch auß
den vier hutten zu fus vnd zu
kampffe etc. 

(Augsburg, Universitätsbibliothek Augsburg, Cod. I 6 4o 3, fol. 54 r.) 

 hie vint man geschriben von dem kempfen

Item wie daz nun sy daz die die decretaleß kempf verbieten, So hat doch die gewonhait herbracht von kaisern und künigen fürsten und hern noch gestatten und kempfen laussen, und darzu glichen schierm gebent, und besunder und umb ettliche sachn und artikeln, alß her nach geschriben staht. Item zu dem ersten maul daz im nymant gern sin Eer laut abschniden mit wortten ainem der sin genoß ist Er wolte Er hebat mit im kempfen wie wol er doch nit recht wol von im kem ob er wolte und darumb so ist kämpfen ain muotwill...
 

(Kopenhagen, Kongelige Bibliotek, Thott 290 2o fol. 8 r. f.) 

Gerade im letzten Zitat von Hans Talhoffer aus der Zeit um 1459 wird deutlich, dass der Zweikampf seinerzeit ein Zankapfel zwischen kirchlichen und weltlichen Sphären ist. Er unterscheidet zwischen Ehrenhändel (Eer abschniden, muotwill) und zeigt dann die strafrechtlichen Anklagepunkt auf, aufgrund derer auch gerichtliche Kämpfe ausgetragen werden konnten. Das Thema der gerichtlichen Zweikämpfe ist dabei so umfangreich, dass ich es an dieser Stelle nicht detaillierter ausführen möchte. Auf jeden Fall entspricht der auf das Zitat in der Quelle folgende Text den Formulierungen in den Landrechten von Bayern, Franken und Schwaben. Kampf meint daher eindeutig den Zweikampf in seinen verschiedenen Formen. Und die oben genannten lateinische Begriffe werden in lateinischen Textfassungen für Kampf, Kämpfer und Kämpfen genutzt. 

FECHTEN

Fechten beschreibt zum einen die Tätigkeit der körperlichen Auseinandersetzung insgesamt und zum anderen die Einzelfertigkeiten, die man erlernt, um im Kampf zu bestehen. Vorwiegend wird Fechten aber im Mittelalter zur Kurzweil, also zu Zwecken der körperlichen und geistigen Fitness betrieben, quasi als Hobby. Es wird aber stets erwähnt, dass man dadurch auch für mögliche Gewaltsituationen gut vorbereitet ist. Nur ein ausgewählter Personenkreis lernt auch Stücke, die explizit für den Ernstfall und den Kampf gedacht sind. Besondere Erwähnung findet das Fechten in den Hofkünsten, welche zur adelig-ritterlichen Ausbildung gehören und ab dem 15. Jahrhundert auch zunehmend für das städtische Patriziat zugänglich werden. So werden z. B. Söhne von Patriziern an Adelshöfen erzogen und ausgebildet.

Fechten ist dabei der Oberbegriff und unterteilt sich in Schirmen (Fechten mit (Hand)Waffen), Ringen (Fechten mit dem Körper), Reiten, Stechen, Springen, Schießen und ähnliche „Handwerke“.
Im Lateinischen wird Fechten dabei stets mit dimicare übersetzt. Und die Kunst des Fechtens ist die ars dimicandi (und andere Schreibweisen). Bereits das älteste Fechtbuch MS I.33, welches vermutlich um 1300 entstanden ist, nennt die Kunst bei diesem Namen. Und der Wortstamm dimic(are) lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen.
Es ist daher stark zu vermuten, dass ars dimicandi und Fechtkunst bzw. Kunst des Fechtens im deutschsprachigen Raum die ältesten Begriffe sind, die sich für das finden lässt, was wir heute Kampfkunst oder Kampfsport nennen. Denn Fechtkunst als Oberbegriff für alle Arten des Fechtens und Turnens – vom Ringen, Boxen, Gerätfechten bis hin zu Gewehrfechten – findet sich noch im 19. und 20. Jahrhundert, während sich die Begriffe Kampfkunst, Kampfsport und Martial Arts erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbreiten. So heißt es auch heute z. B. bei uns in der Bundeswehr noch Gefecht und es gibt Kommandos wie „Klar zum Gefecht!“ und nicht „Kampf“ oder "Klar zum Kampf!“.

FRÜHE NEUZEIT

Auch im Zuge der im Mittelalter einsetzenden Wiederentdeckung der Antike (Renaissance) könnte man nun meinen, es seien über das neue Erstarken des antiken Lateins mögliche Wortschöpfungen entstanden. Allerdings zeigt sich hier selbst in den lateinischen Werken eines Heinrich von Gunterrodt und seinen Bezügen zu Ringen, Boxen und Pankration in der Antike kein Verweis auf ars martialis, so dass man davon ausgehen muss, dass dieses Wort weder in der Antike noch dem Mittelalter oder der frühen Neuzeit genutzt wurde. Auch Gunterrodt nennt die Kunst Ars Dimicatoria.
Weitere Forschungen müssten sich hier auf das 20. Jahrhundert verstärken, da wir es vermutlich mit einer Wortneuschöpfung zu tun haben, die eventuell auf die zunehmende internationale sprachliche Dominanz des Englischen nach dem zweiten Weltkrieg zurückzuführen ist und die dann auf vergangene Epochen zurück projiziert wurde.
Eine Theorie könnte z. B. sein, dass die internationale Verbreitung der asiatisch geprägten Martial-Arts-Filme seit den 60er Jahren überhaupt erst der Ausgangspunkt für die Worte sind, welche wir heute nutzen. Beginnend über die internationale Sprache Englisch wurde Martial Arts also vermutlich in der Filmbranche eingeführt, wobei möglicherweise die Asiaten selbst der Antrieb waren, da sie ein englisches Wort suchten, um ihre Künste zu umschreiben. Aus dem Englischen wurde dann weiter in andere Sprachen übersetzt. Wie man allerdings von martial arts auf Kampfkunst kam, ist mir weiterhin ein Rätsel, müsste man es doch korrekt mir Kriegskunst übersetzen, wenn man den Ideen der eingangs genannten „Experten“ folgen möchte. Matrtial sports ist hier eine noch seltsamere Variante, würde es korrekt übersetzt in etwas Kriegssport heißen..

ANDERE SPRACHEN

Einen kurzen Ausblick möchte ich noch auf andere europäische Sprachen geben. Denn auch in Italien, Frankreich, den Beneluxstaaten, Dänemark und Skandinavien scheinen die deutschen Begrifflichkeiten den Ursprung für Fechten und teilweise auch Kämpfen zu bilden. Gerade das deutsche Schirmen findet sich im Französischen (l’ escrime), Italienischen (scherma) und Spanischen (Esgrima) schon vom Mittelalter bis heute. Im Englischen ist es ebenso interessant, das das englische to fight aus dem einstigen Wortstamm fechten näher an Kämpfen ist und es ein eigenes Wort fencing gibt, was das meint, was im Mittelhochdeutschen mit Schirmen bezeichnete wurde, nämlich das Fechten mit Handwaffen (fighting with …).

Fechten/Schirmen
Latein - dimicare (Verb)
Französisch - escrime
Spanisch - esgrima
Italienisch - scherma
Niederländisch - schermen
Dänisch - fægte
Englisch - fencing

Kämpfen
Latein - pugnare (Verb) duellare (Verb)
Französisch - combat
Spanisch - combate(s)
Italienisch - combattimento
Niederländisch - vechten, strijden, worstelingen
Dänisch - kampen
Englisch - fighting

Krieg
Latein - bellum
Französisch - guerre
Spanisch - guerra
Italienisch - guerra
Niederländisch - strijd
Dänisch - krig
Englisch - war

Es wäre für meine Forschung sehr interessant, die mittelalterlichen Sprachweisen in Bezug auf das Lateinische anhand zeitgenössischer Quellen zu vergleichen, da moderne Lateinübersetzer bereits moderne Interpretationen sind – ohne Bezug zur historischen Sprache. Dieser Bezug muss in kommenden Übersetzungen stets bedacht werden, wie es Historiker und Germanisten zu tun pflegen.

Als Beispiel sei hier der Begriff Ritter aufgeführt. In mittelalterlichen lateinischen Texten wird in Europa das lateinische miles für Ritter genutzt. Dies wird im Französischen mit chevalier, im Italienischen mit cavaliere, im Spanischen mit caballero und im Englischen mit knight gleichgesetzt.

Gebt ihr in einem modernen Wörterbuch miles ein und vergleicht es mit den genannten Sprachen, findet ihr im Französischen soldat, im Italienischen mit soldato, im Spanischen soldado und im Englischen soldier.

CONCLUSIO

Es zeigt sich aus historischer Sichtweise gut, dass man in Mittel- und Westeuropa eine sehr einheitliche, klare Sprachweise bezüglich Kämpfen, Fechten und Kriegführung hatte und eigentlich auch heute noch haben könnte.
Der Mythos der ars martialis und martial arts ist wohl eher Hollywood zu verdanken und dem Wunsch danach, mehr Action zu generieren, indem man eine kriegerische Verbindung herstellte. Es ist eventuell der amerikanische Einfluss auf die europäische Sprachkultur, der hier neue Begrifflichkeiten geschaffen hat. Er hat unsere sprachlichen Wurzeln in diesem Bereich verwischt.

In seinem Buch The Invention of Martial Arts: Popular Culture Between Asia and America geht Paul Bowmann mehrfach auf genau diese sprachliche und kulturelle Entwicklung ein. Er zeigt auf, dass der Begriff Martial Arts aus diesem asiatisch-amerikanischen Austausch entstanden ist und in seinem Ursprung lediglich die asiatischen Kampfkünste bezeichnen sollte. Dabei verweist er explizit auf drei frühe Werke, welche diese Wortschaffung 1920, 1933, 1955 das erste Mal aufgreifen. Der eigentliche Boom des neuen Begriffs martial arts ist zwischen 1968 und 1974 anzusetzen, also eben dem Start der Martial-Arts-Filme in den USA, die stark über die asiatischen Künste geprägt sind.

Der Begriff martial arts ist also weder antik, noch mittelalterlich, noch westlich. Er ist entstanden, um den asiatischen Künsten einen Namen zu geben, so dass diese von den vorhandenen unterschieden werden konnten. Der Boom dieses Begriffs hat aber „leider“ dazu geführt, dass die eigentlichen westlichen Begriffe in nur wenigen Generationen von diesem neuen Begriff überlagert wurden.

Ich finde den Zusammenhang zu martial in Bezug auf europäische Künste in mehrerlei Hinsicht bedenklich. Erstens sehe ich als Historiker und Lehrer für Historische Fechtkünste das Problem, dass wir uns den geistigen Zugang zu den historischen Quellen und der Denkweise der Zeitgenossen erschweren. Die Quellen arbeiten mit den europäischen Oberbegriffen, die sich zu großen Teilen bis in das 20. Jahrhundert erhalten haben.

Weiterhin ist der martialische Begriff bedenklich, da die Verbindung zu einem angeblichen kriegerischen (martialischen) Hintergrund der Künste schlichtweg falsch ist. Und es ist durchaus bezeichnend, wenn gerade die „Kinder des Mars“ in der Renaissance des 15. Und 16. Jahrhunderts von den zeitgenössischen Menschen abgewertet wurden. „Martialisch“ impliziert nicht nur ein falsches Bild der Künste, welche ursprünglich und ursächlich bis ins 20. Jahrhundert vorwiegend der geistigen und körperlichen Stärkung dienten, also Hobby, Spaß und Weiterentwicklung, sondern bildet oft auch ein entsprechend martialisches Ethos aus. Es eignet sich sogar mancher gar das Wort Krieger oder Warrior an, was in keinem Zusammenhang steht. Wer sich aber mit dem Ethos der Fechtkünste seit dem Mittelalter sprachlich korrekt auseinandersetzt, wird zur Erkenntnis kommen, dass diese Künste stets eine Vermeidung von unnötiger Gewalt implizieren und die Gewaltanwendung lediglich als letztes Mittel dient, wenn andere versagt haben, wie etwa im Fall mancher Zweikämpfe.

Als kleine Zusammenfassung:
Krieg/ Streit ist bellum.
Rittermäßig/ritterlich (ab ca. 17. Jhd. kriegerisch) ist militaris.
Die Kunst der Kriegstechnik ist die ars belli.
Die ritterliche Kunst (ab ca. 17. Jhd. Kriegskunst) ist die ars militaris.
Der Ritter ist der miles.
Die Fechtkunst ist die ars dimicatoria.
Der Kampf ist duellum oder pugna.

Viel wichtiger aber ist, dass wir diese Erkenntnis in der Forschung rund um die Fechtkunst nutzen müssen. Denn für den Austausch ist eine einheitliche Fachsprache notwendig; und dass sich die aktuelle Fachsprache rund um die Begriffe Kampfkunst, Kampfsport und Martial Arts bewegt, erschwert ungemein den Zugang, das Verständnis und den Austausch rund um die Historischen Künste. Denn wenn gleiche Worte heute und damals unterschiedliche Bedeutungen haben, dann müssen wir uns überlegen, wie wir den Austausch sprachlich gestalten wollen.

Es geht schon bei dem Begriff HEMA (Historical European Martial Arts) los, der bereits keinen Bezug mehr zur eigentlichen Sprache hat. Denn im Englischen müsste es korrekt HEFA (Historical European Fighting Arts) heißen. Und im Deutschen wären es dann Historische Europäische Fechtkünste.

In jedem Fall lässt sich der Zusammenhang der Fechtkünste mit den Kriegskünsten kaum feststellen. Im Kern ist Fechten nicht „martialisch“ oder kriegerisch, sondern vielmehr eine kulturelle Bereicherung, die schon damals im Schwerpunkt als vielfältige und umfangreiche Methode galt, Körper und Geist in vielerlei Hinsicht weiterzuentwickeln. Die Vorbereitung auf tatsächlich mögliche Gewalttaten stand dabei nicht im Vordergrund. Aber den Menschen war klar, dass die Fechtkünste trotzdem jederzeit eine gute Voraussetzung waren, sich in jeglicher Form zur Wehr zu setzen.

Ich hoffe, hiermit fruchtbare Gedanken anregen zu können.

Vielen Dank an meine Lektoren Dierk Hagedorn und Cornelius Berthold. Vor allem Cornelius versucht sehr oft nach seinen Möglichkeiten als Lektor nochmal die letzte Fehler und Ungereimtheiten in meinen Artikeln zu finden.
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